Der Junge in der Burg --------------------- Mein allererster Text, geschrieben im Herbst 2000. Es war eigentlich dieser Text, an dem ich merkte, daß ich eine eigene Welt brauche. Er ist mittlerweile zwar im Schnellverfahren an Aurhim angepasst worden, doch an der eigentlichen Geschichte habe ich nichts geändert. Irgendwann will ich die Geschichte nochmal neu schreiben und dann auch zu Ende bringen. Wir befinden uns jedenfalls im Winter des Jahres 1837 auc im Norden Belidas. Wenn es ihn nicht das Leben gekostet hätte, hätte er jetzt laut und voller Inbrunst geflucht. Warum mußten die Wachen sich ausgerechnet diesen Gang aussuchen, um ihren Krug Most in aller Seelenruhe zu vernichten? Warum konnten die nicht woanders hin gehen? Warum war das erst der erste Krug? Und wo er schon mal dabei war, warum war er selbst eigentlich in dieser Burg? Was ging es ihn an, ob der belidische König die Informationen erhielt, die er für seinen Feldzug benötigte. Anirhél hatte gut reden: "Stiveo ist drauf und dran diesen Krieg zu verlieren. Für die richtigen Information zahlt er fast jede Summe. Und für dich und Iwi ist das doch ein Klacks." Irgendwie schaffte sein Kusinchen es immer wieder, in von Dingen zu überzeugen, die er dann doch wieder bereute. Und Iwi saß jetzt wohl im Wald bei den Pferden und machte es sich gemüt... Verdammt, jetzt hatte er sich von seiner schlechten Laune ablenken lassen. Der Weg nach vorne blockiert und jetzt kamen auch noch von hinten Schritte. War er nicht vor ein paar Metern an einer Türöffnung vorbei gekommen? Tatsächlich! Da war eine Treppe, nur führte sie nach unten, noch tiefer in die Festung hinein. Leider hatte er keine Wahl. Er war kaum den ersten Absatz hinabgestiegen, als oben zwei Dienerinnen mit einem Zuber voll Wasser vorbei kamen. Hier ging es heute Nacht ja zu wie auf dem Markt. Der Gang aus dem er gerade gekommen war, war jedenfalls zu belebt, keine Chance, wie geplant über die Zinnen zu fliehen. Das Seil hätte er ruhig im Lager lassen können. Sein Unmut wuchs immer mehr. Man mußte Anirhél allerdings etwas in Schutz nehmen. Rafalos Situation war nicht so hoffnungslos, wie er selbst in seinem Ärger gerade meinte. Zwar konnte niemand wissen, daß es in der Burg zugehen würde wie im Ameisenhaufen, weil eine wichtige Delegation aus ???? genau in der Nacht ankommen mußte, in der das erste Kind des Herzogs zur Welt kommen sollte, aber bis jetzt war eigentlich alles glatt gelaufen. Rafalo war nicht umsonst ein alter Hase, der schon so manche Situation gemeistert hatte. Er mußte sich nicht einmal große Mühe geben leise zu sein. Die Schreie aus dem Zimmer der Wöchnerin hätten seine Schritte auch dann übertönt, wenn er schwere Stiefel getragen hätte und nicht leichte Schuhe mit weichen Ledersohlen. Dieses Zimmer war auch der Grund für den regen Verkehr in diesem Teil des Schlosses. Da der Weg zurück versperrt war, blieb nur noch die Möglichkeit, die Treppe nach unten zu verfolgen. Vielleicht gelangte er ja auf diesem Weg in den Burghof, dann könnte er sich irgenwo in einer Scheuer verstecken, bis sich die Lage etwas beruhigt hatte. Je weiter er aber hinabstieg, umso klarer wurde ihm, daß diese Treppe wohl auf direktem Weg in den Kerker führen würde. Wer auch immer diese Burg bauen ließ, er mußte einige sehr wichtige Gefangene gehabt haben, oder wer baute sonst eine Treppe direkt von den Privargemächern zu den Verließen? Dort unten würde wenigstens nicht so viel los sein. Endlich erreichte Rafalo einen waagerechten Gang. Ihm kam es vor als wär er mindestens so tief unter der Erde, wie der Bergfried hoch war. Bei genauerem Nachdenken, war dieser Eindruck wohl gar nicht mal so falsch. Weiter vorne machte der Gang eine Biegung. Von dort her drang der Schein einer Fackel in den Gang, aber hier hinten war es stockfinster. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn der Kerker nicht bewacht gewesen wäre. Ein leises Klirren ließ in aufhorchen. Es würde doch nicht schon wieder jemand... Nein, seine Augen hatten sich langsam an das schwache Licht gewöhnt, und Rafalo sah, daß der Gang sich ein Stück weiter vorne zu einem Raum verbreiterte. Dort schien tatsächlich ein bemitleidenswerter Mensch angekettet zu sein. Vorsichtig schlich sich Rafalo näher. Jetzt konnte er ihn sehen. Er stand an der gegenüberliegenden Wand. Selbst in dem schlechten Licht war zu sehen, daß er sehr zierlich war. Es würde doch nicht etwa eine Frau sein, die in diesem stinkigen Loch vor sich hinvegitierte? Der Gefangene hatte ihn auch bemerkt, aber er gab keinen Ton von sich. Vielmehr schien er zu versuchen, eins zu werden, mit der Wand hinter sich. So sehr er sich später darüber auch den Kopf zerbrechen würde, Rafalo konnte in all den Jahren, die auf diese Begegung folgten, nie erklären, warum er damals näher an diese traurige Gestalt herangetreten war, aber es sollte sein Leben verändern. Das erste was Rafalo bemerkte, als er sich näherte, war der beißende Geruch von Urin. Der Gefangene schien sich vor lauter Angst buchstäblich in die Hose gemacht zu haben. Seine Kleidung bestand nur noch aus Fetzten und war unsäglich schmutzig. An manchen Stellen war sie wohl auch einmal blutdurchtränkt gewesen, aber dieser Mensch hatte schon seit längerem keine Folterkammer mehr von innen gesehen. Er hätte es auch nicht überlebt. Wo man zwischen den Fetzen etwas von der Haut sehen konnte, war sie schrundig und spannte über den Knochen. Auch die Haare waren verfilzt und schmutzig und vor allem viel zu lang. Sie waren wohl einmal blond gewesen, doch war das bei den Lichtverhältnissen schwer zu beurteilen. Diese Person hatte man eine Zeit lang sehr übel behandelt und dann einfach vergessen. Nur ob es ein Mann oder eine Frau war, wußte Rafalo immer noch nicht, da sie das Gesicht weggedreht hatte, als ob man sie nicht sehen könnte, solange sie selbst nichts sah. Der Gefangene bebte am ganzen Körper vor Angst und gab doch keinen Ton von sich. Doch als Rafalo in vorsichtig am Kinn fasste und das Gesicht zu sich her drehte, blickte er auf einmal in ein Paar Augen, das ihn geradewegs, fast schon trotzig, anstarrte. Die Augen einer Person, die die Hölle schon erlebt und nichts mehr zu verlieren hat. Es war ein Junge. Das Alter war sehr schwer zu schätzen, da er halb verhungert war. Unter Umständen war er nicht viel älter als fünfzehn. Wie konnte man einem halben Kind nur so etwas antun! Was immer er getan haben mochte, er hatte seine Schuld längst verbüßt. Während er ihn so betrachtete, wurde Rafalo klar, daß es nicht einfach werden würde, mit dem Jungen zusammen zu fliehen, und daß es doch undenkbar wäre, ihn hier zurückzulassen. Erst jetzt bemerkte er, daß man dem Jungen nicht nur die Hände mit schweren Handschellen gefesselt hatte, sondern ihn auch mit einem Halseisen so an die Wand gekettet hatte, daß er nicht einmal hinliegen konnte. Ohne Schlüssel war hier nichts zu machen. "Weißt du wo der Schlüssel ist?" Rafalo kam es so vor, als ob seine Worte durch den ganzen Kerker halten, obwohl sie mehr gehaucht als geflüstert waren. Der Junge starrrte ihn kurz an und drehte den Kopf dann wieder weg. Rafalo wollte ihn am liebsten packen und schütteln. Konnte er einem nicht wenigstens antworten, wenn man ihm schon helfen wollte. Das konnte ja heiter werden, aus der Burg zu fliehen mit einem Schützling, der vor Angst zu keiner sinnvollen Handlung fähig ist. Er überlegte sich gerade, wie er die Kette sonst öffnen könnte, als sein Blick zufällig dem des Jungen folgte. Tatsächlich, dort an der Wand hing der Schlüssel, gerade außerhalb der Reichweite einer Person, die hier angekettet war. Derjenige, der den Schlüssel dort aufgehängt hatte, hatte sicher eine Menge Spaß dabei, den Gefangenen auf diese Weise zu quälen, und trug jetzt doch unabsichtlich zu dessen Befreiung bei. Im Stillen leistete Rafalo dem Jungen Abbitte dafür, daß er ihn so unterschätzt hatte. Dann holte er den Schlüssel und öffnete die Fesseln so leise wie es eben möglich ist bei Schlössern, die wohl schon mehrere Wochen niemand mehr benutzt hatte. Kaum hatte er das Halseisen gelöst, als der Junge in sich zusammen sackte. Wer weiß, wann er das letzte Mal gelegen war. Schnell öffnete Rafalo die Handschellen. "Bleib kurz hier, ich bin gleich wieder zurück" flüsterte er noch kurz, bevor er davon huschte. Das ausgezehrte, bleiche Gesicht mit den unnatürlich großen Augen, hatte sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt. Die Soldat konnte eigentlich nichts dafür. Er war erst seit ein paar Tagen zur Kerkerwache eingeteilt, und hatte dem Gefangenen nichts getan. Er hatte aber auch nichts für den Gefangenen getan. Im großen und ganzen war die Aufgabe ganz in Ordnung. Es gab nur einen Gefangenen zu bewachen, aber der würde auch nicht mehr lange durchhalten. Wer weiß, vielleicht bedeutete das leise Klirren gerade eben ja, daß er endgültig den Geist aufgegeben hatte. Und einen leeren Kerker muß man ja eigentich nicht bewachen. Dann könnte er sich wieder mit seinen Kameraden die Zeit in der Wachstube am Burgtor mit Würfelspielen und Most vertreiben. Eigentlich war es ein verdammter Scheißdienst hier unten. Weiter kam er nicht in seinen Überlegungen, da in dem Moment Rafalo wie ein Geist hinter ihm auftauchte und ihm mit einem Stück Seil die Luft abschnürte, bis er ohnmächtig wurde. Schnell noch gefesselt und geknebelt und Rafalo huschte zurück zu dem Jungen, der noch genauso in sich zusammengesackt da lag, wie er ihn verlassen hatte. "Kannst du laufen?" So langsam fragte sich Rafalo allmählich ob der Bursche stumm war. Er ließ sich jedenfalls ohne großen Widerstand auf die Füße ziehen und blieb sogar alleine stehen. An der gefesselten Wache vorbei, kamen die beiden zu einer Treppe, die um einiges größer war, als die, auf der Rafalo in den Kerker gelangt war. In etwa auf einer Höhe mit dem Burghof zweigte eine kleine hölzerne Stiege ab, die auf den Wehrgang führte. Der Junge hatte zwar große Mühe, die steilen Stufen zu erklimmen, aber er schien wild entschlossen zu sein. In Anbetracht dessen, was er wohl in den letzten Monaten durchgemacht hatte, kein Wunder. Wie durch ein Wunder blieben sie unentdeckt bis sie den Wehrgang erreichten. Doch dann war ihr Glück aufgebraucht. Gleich von zwei Seiten kamen bewaffnete Männer auf sie zugerannt. Ein Blick über die Brustwehr zeigte Rafalo, daß ihn sein Orientierungssinn nicht getrogen hatte. Sie befanden sich tatsächlich an der Seite der Burg, die vom Fluß begrenzt wurde und nicht wie die anderen drei Seiten von einem relativ flachen Wassergraben. "Kannst du schwimmen?" Mit diesen Worten hatte er den Jungen auch schon über die Brustwehr gehoben. Den Bruchteil einer Sekunde später folgte er ihm und sprang mehrere Meter tief in das schnellfließende Wasser. Als er wieder auftauchte, sah er, daß der Junge schon ein ganzes Stück abgtrieben worden war. Mit einigen kräftigen Zügen hatte Rafalo ihn erreicht Keinen Moment zu früh, denn den verließen zusehends die Kräfte. Einige weitere Züge brachte die beiden ans Ufer. 'Der Noled ist nicht gerade die ideale Zeit um Nachts baden zu gehen und dann mit nassen Klamotten durch den Wald zu laufen!' schoß es Rafalo durch den Kopf als er ans Ufer kletterte. 'Wenn nur der Junge durchhält! Bis zum Lager ist es noch ein Stück und je schneller wir laufen desto wärmer ist uns. Ganz abgesehen davon, daß der Herzog uns sicher nicht einfach so gehen lassen wird.' Er zog den Jungen auf die Füsse und machte sich mit ihm auf den Weg tiefer in den Wald dessen Ausläufer hier fast bis an den Fluß reichten. Gottseidank war es eine dunkle, wolkenverhangene Nacht und der Eingang der Burg lag auf der dem Fluß abgewandten Seite, so daß sie von den Männern des Herzogs fürs erste wohl nichts zu befürchten hatten. Schon nach ein paar hundert Schritten zeigte sich allerdings, daß der Junge körperlich schlichtweg nicht in der Lage war, das schnelle Tempo durchzuhalten. Nicht daß er nicht willig gewesen wäre, aber er stolperte mehr als daß er ging, und war ein paar mal auch schon fast gestürzt. Rafalo würde ihn wohl tragen müssen. Als er ihn auf den Rücken nahm, um schneller voranzukommen, ließ er ihn vor Schreck fast wieder fallen. Daß der Junge so leicht sein würde, hatte er nicht gedacht. Er mußte wirklich am Verhungern sein. Endlich leuchtete der Schein des kleinen Feuers, an dem Iwi auf ihn wartete, durch die Bäume. Bewin - Iwi, wie ihn seine Freunde nannten - war wie Rafalo großgewachsen und schlank, ja er mochte ihn sogar noch ein wenig überragen. Was an ihm allerdings sofort auffiel war der dichte Schopf feuerroter Haare, von denen ihm immer eine Strähne in die graue Augen hing. Er blickte Rafalo fragend an: "Und? Hat alles geklappt? Hast du die Karte? Und wen bringst du da mit?" "Laß einen doch erstmal Luft schnappen" brummte der Angesprochene zurück. "Ja, ich habe die Karte. Es hat nicht alles nach Plan geklappt, aber mit etwas Glück finden uns die Schergen des Herzogs hier nicht. Sobald es allerdings hell wird, sollten wir uns schleunigst aus dem Staub machen." "Und wer ist er?" Iwi deutete auf den Jungen der zitternd am Feuern kauerte. "Den hab ich in einem Kerkerloch vor sich hin rottend gefunden, wo sie ihn anscheinend vergessen hatten. Na ja, ganz kann das nicht stimmen, denn der Ärger ging erst so richtig los, als ich ihn mitgenommen habe. Aber jetzt wo du fragst fällt mir auf, daß ich selber nicht weiß, wie er heißt oder weswegen er dort war. Wenn ich es mir genau überlege, hat er bis jetzt eigentlich noch gar nichts gesagt." "Und du hast ihn trotzdem mitgenommen? Vielleicht hat er seine Strafe ja verdient? Wer weiß, was er angestellt hat." "Kein Mensch hat es das verdient, was dieser Bursche durchgemacht hat! Wenn du ihn gefunden hättest, hättest du auch nicht anders gehandelt" "Eirik", die leise Stimme lies beide auffahren. "Ich heiße Eirik Helyaves. Bitte glaubt mir, ich habe nichts getan. Ich weiß auch nicht, warum man mich gefangen genommen hat. Bitte schickt mich nicht zurück!" "Sieh da, er kann ja doch sprechen!" Iwi warf Rafalo einen vernichtenden Blick zu. "Behalte deine zynischen Kommentare lieber für dich. Siehst du nicht, daß er Angst hat?" Dann wandte er sich dem Jungen zu: "Hab keine Angst. Wir tun dir nichts und wir schicken dich auf gar keinen Fall zurück, Eirik. So war doch dein Name, oder? Eirik Helyaves. Das klingt ziemlich nordisch. Du bist nicht von hier, was?" "Aus Aronan." "Das würde erklären, warum der Herzog ihn eingebuchtet hat. Fremde sind hier nicht gerne gesehen. Wir solltem ihm auf jeden Fall ein paar Sachen von uns zum Anziehen geben. Er zittert am ganzen Leib. Da fällt mir ein, auch mir würden einige trockene Kleider nicht schaden." Iwi erhob sich von dem Baumstamm auf dem er die ganze Zeit gesessen hatte. "Bleib hier! Ich hol die Sachen." Er ging ein paar Schritte in den Wald hinein, wo zwei Pferde - ein Brauner und ein Fuchs - angebunden waren. Mit einem leichten Klapps auf die Flanke forderte er sie auf, Platz zu machen, damit er die Satteltaschen holen konnte. "Hier ist dein Zeugs." er warf Rafalo, der es sich auf dem Stamm bequem gemacht hatte, eine der Taschen zu. Dann nahm er eine Hose und ein Hemd aus der anderen Tasche und kniete sich neben dem Jungen hin. Dieser schien noch mehr in sich zusammenzusinken, fals das überhaupt möglich war. "Hey, ganz ruhig. Hier tut dir niemand was. Komm, laß mich dir helfen, die durchnäßten Lumpen auszuziehen." Nach einigem Zureden ließ sich Eirik endlich helfen. Es war nicht einfach ihm beim Umziehen zu helfen, da er am ganzen Körper zitterte. Auch Rafalo hatte sich in der Zwischenzeit umgezogen und reichte dem Jungen eine der beiden Schlafdecken. "Da, wickel dich ein und sieh zu, daß du wieder warm wirst. Ich nehme an, du hast Hunger. Viel können wir dir wohl nicht bieten, aber Brot und ein Stück Dörrfleich wird schon zu finden sein." Eric nahm die ihm angebotenen Dinge, aß aber zuerst noch nicht. "Du kannst das wirklich essen" versicherte ihm Iwi. "Aber ich habe nichts, um es zu bezahlen!" "Laß den Quatsch! Du bist eingeladen. Man kann doch von einem Menschen der am Verhungern ist, nicht auch noch Geld verlangen!" Jetzt endlich fing Eric an zu essen, allerdings sehr langsam. In ihm kämpften der Hunger und die Erschöpfung um die Vormacht, bis er schließlich einschlief, den letzten Bissen Brot noch in der Hand. Erst jetzt, als er schlief, fing das Zittern endlich an nachzulassen. "Sie haben ihm wirklich übel mitgespielt. Als ich ihm beim Umziehen geholfen habe,mußte ich mich ganz schön zusammenreißen. Sein ganzer Körper ist übersät mit Schrunden und alten Narben. Kein Wunder, daß ersolche Angst hat." Iwi legte Eric die Hand auf die Stirn. "Und er glüht vor Fieber. Wollen wir hoffen, daß er die erste Nacht in Freiheit überhaupt überlebt!" "Hast du gesehen, wie dünn der ist? Als ich ihn hergetragen habe, habe ich sein Gewicht kaum gespürt! Daß er überhaupt so lange durchgehalten hat, ist ein Wunder!" "Wir sollten morgen am besten noch vor Sonnenaufgang aufbrechen, wenn wir dem Herzog aus dem Weg gehen wollen. Ich halte die erste Wache, und wecke dich dann in ein paar Stunden." "Ist recht. Gute Nacht." "Gute Nacht, Rafalo." I n der Nacht war alles ruhig geblieben. Rafalo hatte nach vier Stunden Schlaf die Wache von Iwi übernommen. Jetzt, nur eine starke Stunde später, fing es an hell zu werden. "Du hättest mich wirklich früher ranlassen können." brummelte er als er seinen rothaarigen Freund weckte. "Jetzt hast du ja kaum geschlafen." "Ich hatte genug Zeit, mich auszuruhen, während du irgendwelche Waisenkinder aufgelesen hast. Wie geht es ihm denn?" "Nach wie vor unverändert. Er glüht vor Fieber! Selbst wenn wir ihn jetzt wecken würden, wäre er, glaube ich, kaum ansprechbar. Zu dumm, daß unser Schiff erst in zehn Tagen eintrifft. Am liebsten wäre es mir, wenn Crissy ihn sich sofort ansehen könnte. Wenn sie ihn nicht retten kann, kann es niemand!" "Crissy ist schon eine Spitzenärztin, oder?" "Das kannst du laut sagen. Gottseidank hab ich ihre Dienste bis jetzt kaum gebraucht." "Wenn wir uns ranhalten, müßten wir es bis heute abend nach Brest schaffen können, selbst wenn wir uns auf Schleichwegen durch den Wald schlagen und die richtigen Wege meiden. Dort müßte eigentlich ein Wirtshaus zu finden sein, indem wir uns verstecken können, bis die 'Taube' am ausgemachten Treffpunkt einläuft. Noch eine Nacht im Freien übersteht der Kleine nicht." "Genau das gleiche hätte ich auch vorgeschlagen." "Weiß ich doch!" Diese Übereinstimmung war kein Zufall. Iwi und Rafalo, der Rotschopf und der Schwarzhaarige, waren zusammen aufgewachsen und in all den Jahren - sie zählten beide in der Zwischenzeit dreiundzwanzig Jahre - kaum einen Tag getrennt gewesen. Sie kannten sich so gut, daß es oft schien als könnten sie Gedanken lesen. Die beiden waren ein eingespieltes Team. Während ihres Gesprächs hatten sie zügig und ohne einen unnützen Handgriff das Lager abgebaut, das Feuer gelöscht und die Pferde gesattelt. "Einer von uns wird Eric vor sich auf den Sattel nehmen müssen. Wenn es dir nichts ausmacht, reite ich zuerst. Du hast heute Nacht doch ein Stückchen mehr geschlafen als ich." So machten sich die drei auf den Weg. Rafalo ging zu Fuß vorraus und Iwi folgte zu Pferde, Eric vor sich auf dem Sattel und das zweite Pferd am Zügel führend. Als geübter Jäger und Fährtenfinder war es für Rafalo ein Leichtes durch den lichten Laubwald einen Weg entlang von Wasserläufen und Hirschpfaden zu finden, der auch für Pferde gangbar war. So kamen sie schnell und ohne Zwischenfälle voran und erreichten wie berechnet am späten Nachmittag Brest. I n der Stadt fanden sie nahe der Stadtmauer eine Herberge, die zwar klein war, aber sauber zu sein schien. Rafalo, der zu diesem Zeitpunkt Eric bei sich auf dem Pferd hatte, wartete in der Dämmerung vor dem Haus, während Iwi hineinging, um ein Zimmer zu mieten. Im Schankraum saßen einige Männer in kleinen Grüppchen oder einzeln beieinander. Es schienen größtenteils Handwerker aus Brest selbst zu sein, die einen weiteren arbeitsreichen Tag bei einem Krug Bier oder Apfelmost ausklingen ließen. Männer, die Fremde nicht liebten und doch wußten, daß ihre Geschäfte davon abhingen, daß Fremde nach Brest kamen. Das Wirtshaus wurde von einer resoluten Witwe geführt, die im hinteren Teil des Schankraums hinter einer Theke stand. Wie sich herausstellte, hatte sie nur ein Zimmer mit einem kleinen Nebenraum zu vermieten. Dieses stand allerdings im Moment leer, und sie war gerne bereit, es an zwei Männer mit einem kranken Freund zu vermieten. Ihre anfangs etwas ungeduldige Art besserte sich schlagartig, als Rafalo den von ihr verlangten Preis für die zehn Tage im Voraus zahlte, ohne mit der Wimper zu zucken und vor allem ohne zu feilschen. Als auch noch die Frage mit den Mahlzeiten geklärt war, ging Iwi wieder nach draußen, um die anderen zu holen. "Besser hätten wir es nicht treffen können. Im Hinterhof ist ein Stall, in dem wir die Pferde einstellen können. Von diesem Hof führt auch eine Treppe direkt nach oben in den ersten Stock, wo unser Zimmer ist, so daß wir nicht jedes Mal durch die Wirtsstube müssen." "Gut gemacht. Laß uns zusehen, daß wir Eric ins Bett schaffen und dann selbst etwas zu beißen zwischen die Zähne kriegen." W ährend Iwi Eric nach oben aufs Zimmer trug, versorgte Rafalo schnell die Pferde und kam dann mit dem Gepäck nach. Vom Innenhof führte eine Treppe in den ersten Stock, wo ein Gang auf der Seite zum Hof hin das ganze Gebäude entlang lief. Von der Treppe aus kamen zuerst einige Türen die wohl in Abstellräume oder den einen oder anderen Schlafraum für das Gesinde führten. Der Großteil des Gesindes schien allerdings seine Behausung über dem Stall auf der anderen Seite des Hofs zu haben. Am Ende des Ganges führte eine breitere Treppe hinunter zu Wirtsraum und Küche. Direkt vor dieser Treppe war die Tür aus dicken Eichenbohlen, die den einzigen Gastraum vor Lärm und Gerüchen aus der Wirtsstube abschirmte. Hinter der Tür lag ein wenn nicht großer, so doch geräumiger Raum mit 3 Fenstern zur Straße hin. An seinem einen Ende befand sich ein Kamin, in dem eine Magd schon ein lustiges Feuer angezündet hatte, das wohl schnell die Kälte aus dem Zimmer vertreiben würde. Auf der Fensterseite des Raumes stand ein großer Tisch mit einigen Stühlen, und unter den Fenstern standen zwei schwere Holztruhen. Auf der einen davon befand sich ein Krug mit Wasser und eine Schüssel, damit sich die Reisenden erfrischen könnten. Neben dem Kamin führte ein Durchgang zu einer kleinen Nebenkammer, die wohl für das Dienstpersonal etwaiger Gäste gedacht war. In ihr lag nur eine Strohmatratze auf dem Boden, doch war auch dieser Nebenraum wie das große Zimmer ordentlich und sauber. Zurück im großen Raum befand sich ein großes Bett, das an der Wand zum Gang hin nahe dem Kamin stand. In dieses Bett hatte Iwi Eric gelegt, und ihn mit allen Decken die er finden konnte zugedeckt. Rafalo hatte kaum die Runde durch die beiden Räume gemacht, als es auch schon an der Tür klopfte. Herein kamen zwei Mägde, die das Essen brachten. Es gab eine große Holzplatte mit einigen dicken Bratenstücken, dazu eine Schüssel mit Rübenmuß und einen Laib frisches Brot. Außerdem hatten die Mägde einen Kerzenleuchter mitgebracht, da es allmählich dunkel wurde. Rafalo hielt sie auf: "Wäre es möglich für unseren Freund eine Suppe zu machen, da er krank ist, und normale Kost nur schlecht zu sich nehmen kann." "Wird sofort erledigt, edler Herr." "Die hast du ja ganz schön beeindruckt" meinte Iwi den Mund voll Brot, als sich die Tür hinter den beiden Mägden schloß. "Ich hab der Wirtin wohl doppelt soviel bezahlt, wie sie sonst für den Raum bekommt, und dazu noch komplett im Voraus, aber mit dem kranken Burschen hier und den Männern des Herzogs auf den Fersen können wir es gut gebrauchen, wenn die Wirtsleute zu uns halten. Und jetzt gib mir auch was zu Essen, ich hab einen Bärenhunger!" D ie beiden Männer setzten sich an den Tisch. Jeder zog das Messer, das er in einer Scheide am Gürtel trug und gemeinsam rückten sie der Mahlzeit schnell und konzentriert zu Leibe. Als etwa eine Viertelstunde später eine der Mägde mit einem Topf voll Suppe, der leicht für drei gereicht hätte zurück kam, war von der ganzen großen Portion nur noch ein Kanten Brot übrig. Während sich Rafalo noch damit beschäftigte, die letzten Reste des Rübenmuses aus der Schüssel zu kratzen, ging Iwi zum Bett hinüber. "Er hat immer noch hohes Fieber. Hoffen wir, daß wir hier wirklich ein paar Tage ausruhen können, und daß ihm diese Rast reicht. Ich glaube kaum, daß es hier im Ort einen Arzt gibt, der ihm helfen könnte." Iwi schlug die Decke, mit der Eric bis zum Kinn zugedeckt gewesen war ein wenig zurück, hob Erics Oberkörper etwas an und setzte sich so hinter ihn, daß er sich bei ihm anlehnen konnte. In der Zwischenzeit hatte Rafalo etwas Suppe aus dem Topf in eine kleine Schüssel gegeben, und kam mit ihr und einem Löffel zu Iwi ans Bett. Löffel und Schüssel hatte er beides aus seinen Satteltaschen genommen, da der Topf zu unhandlich und zu heiß war, um damit am Bett zu hantieren. "Aber unabhängig davon, wieviel Geld ich der Wirtin gegeben habe, es ist wohl bald mit ihrer Freundschaft aus, wenn sie erfährt, wie krank der Junge wirklich ist. Ein Todesfall kann das Ende für so eine kleine Herberge bedeuten." Iwi nahm den Löffel, füllte ihn aus der Schüssel, die Rafalo ihm hinhielt, und begann die mühsame und langwierige Aufgabe, Eric zu füttern. "Aber genau aus dem Grund wir sie den Teufel tun, und im Ort herumerzählen, daß wir hier sind. Und die Gäste in der Wirtsstube haben ja nur dich gesehen. Ich denke, wenn wir uns nicht allzu auffällig benehmen, sollte alles glatt gehen." In dieser Weise unterhielten sich die beiden Freunde noch ein ganzes Weilchen, bis die Schüssel auch ein zweites Mal geleert war. Danach legten sie Eric wieder bequem hin, und deckten ihn gut zu. "Es ist wohl besser, wenn einer von uns heute Nacht neben ihm auf dem Boden schläft, falls sich sein Zustand während der Nacht verschlechtern sollte. Außerdem ist in der kleinen Kammer sowieso nur ein Strohsack. Warum legst du dich nicht rüber in das kleine Zimmer, Iwi, und ich bleibe hier? Du hast schon den Großteil der letzten Nacht gewacht. Du siehst müde aus." "Müde bin ich sicherlich. Wenn du meinst, dann machen wir das so. Schlaf gut!" Etwas leiser fügte er noch hinzu: "Und du schlaf auch gut, Eric! Keine Angst, wir passen auf dich auf. Nur über meine Leiche fällst du den Leuten in die Hände, die dir das angetan haben!" Rafalo sah seinem Freund noch nach wie der aus seinem Pack die Decke hervorsuchte, die Kerzen löschte und ins andere Zimmer ging. Dann legte auch er sich hin, und schlief schnell ein. B rian kam am nächsten Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer und fand Rafalo schon wach und angezogen vor. "Guten Morgen, Rafalo. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich in der Wirtstube frühstücken und mir dann die Stadt anschauen. Ich schick euch was zu essen hoch."Ist gut, aber wenn du schon dabei bist, organisier auch gleich ein heißes Bad für Eric, und bring ihm neue Kleidung aus der Stadt mit. Deine Sachen sind ihm nicht nur zu weit, sondern vor allem auch viel zu groß." "Wie geht es ihm denn?" "Schwer zu sagen. Ich hab den Eindruck, daß er ein bißchen mehr Farbe hat, aber das ist schwer zu sagen. Er hat die Nacht über ziemlich unruhig geschlafen. Und auch jetzt schläft er nicht richtig, ist aber auch nicht richtig ansprechbar. Das Fieber hat ihn fest im Griff." "Wir müssen irgendwie schauen, daß er wieder zu Kräften kommt. Ich glaube nicht, daß das Fieber das eigentliche Problem ist, aber sein Körper ist einfach zu schwach, um der Krankheit Herr zu werden. Ich werde schauen, ob ich in der Stadt etwas finde, was ihm guttun würde. Bis später dann!" "Bis nachher!" N achdem Iwi unten etwas Brot und Käse gefrühstückt und mit der Wirtin die Verpflegung für die beiden anderen abgeklärt hatte, trat er vor die Tür der Herberge in einen strahlenden Wintermorgen. Während er sich Richtung Marktplatz auf den Weg machte, fing die Stadt gerade an zum Leben zu erwachen. Die Handwerker öffneten die Läden und stellten ihre Waren auf Tischen davor zur Schau. Aus den umliegenden Dörfern kamen Bauern mit Wagen voller Nahrungsmittel, um sie auf dem Markt zu verkaufen. Brest war zwar eine relativ kleine Stadt, aber durch den Handel mit England wohlhabend geworden und an einem Tag wie heute war es voller Leben. Iwi verhandelte gerade mit einem alten Bauern, der nur noch ein paar Zähne besaß, wegen einiger Äpfel, die zwar ziemlich verschrumpelt waren, aber unvergleichlich süß dufteten, als ein Soldat des Herzogs neben ihn trat. "Na wie läuft das Geschäft, Odo?" sprach er den Bauern an. "Du hast es gut, du sitzt hier in Ruhe ein paar Stunden auf deinem Wagen, verkaufst deine Sachen und dann gehst du nach Hause und hast deine Ruhe. Wir dagegen müssen jetzt doppelt so oft Wache schieben. Der Herzog hat heute morgen die Hälfte seiner Leute aus Brest abgezogen, und jetzt sind wir hier viel zu wenig Männer um die Stadtmauer zu bewachen, Tordienst zu schieben und noch beim Markt aufzupassen, daß alles mit rechten Dingen zugeht." Der alte Bauer, der den Soldaten schon lange zu kennen schien, entgegnete: "Ich weiß nicht! Ihr Soldaten habt doch immer einen Grund euch zu beschweren. Machmal denke ich, die Welt wäre besser dran, wenn es keine Soldaten gäbe! Jedes Mal, wenn der Herzog durch seine Lande reist, fürchten alle Väter um die Ehre ihrer Töchter. Dabei soll er uns doch vor Unrecht beschützen! Man sagt, nicht einmal Knaben seien vor ihm sicher." "Laß das nur keinen der anderen Soldaten hören! Unter uns, der jetzige Herzog ist sicher kein Engel, aber wenn er und siene Männer nicht wären, wer würde uns dann vor den Überfällen der Wikinger schützen? Hast du schon vergessen, wie sie vor ein paar Jahren bis nach Paris gezogen sind? Wie sie alles mitgenommen haben, was nicht niet- und nagelfest war? Alle jungen Menschen in die Sklaverei verschleppt, die alten getötet und dann alles niedergebrannt haben? Nein, wenn du mich fragst, es ist schon gut, daß es den Herzog und seine Soldaten gibt. So viel Unrecht sie auch tun mögen, die Nordmänner wären schlimmer!" Jetzt mischte Iwi sich ein: "Entschuldigt, wenn ich euer Gespräch unterbreche, aber warum hat der Herzog seine Männer abgezogen? Ich dachte, der Krieg mit dem König, wäre für den Winter unterbrochen. Wozu braucht er dann mehr Männer? Er hat doch sicher genügend in seiner Burg in Rouen." "Ich weiß es selber nicht. Wer erzählt schon einem einfachen Fußsoldaten, warum etwas gehorcht. Der Soldat hat zu gehorchen und keine Fragen zu stellen. In den Baracken wird gemunkelt, es hätte irgendwelche Probleme gegeben, als sich der Herzog vorletzte Nacht in seiner Burg nicht weit von hier in Nyon aufhielt. Man erzählt, ihm sei ein wichtiger Gefangener entkommen, und doch weiß ich von keinem Edelmann der in der letzten Zeit gefangen genommen worden wäre. Wahrscheinlicher ist, das der arme Kerl es irgendwie geschafft hat, den Herzog persönlich zu reizen. Dann ist sich der nicht zu schade, und schickt auch seine ganze Armee einem Fischerjungen hinterher. Ich nehme an, daß sie ihn in der Zwischenzeit schon längst eingefangen haben. Soweit kann er ja nicht gekommen sein. Wie dem auch sei, ich muß weiter, wenn ich vor dem Beginn meiner Wache noch in eine Schenke will. Sag deiner Tochter einen Gruß von mir, Odo!" "Das werde ich gerne machen, aber ich glaube nicht, daß du große Chancen bei ihr hast. Das unvernünftige Ding ist fest davon überzeugt, daß eines Tages ein Ritter kommt, sich unsterblich in sie verliebt und sie zu seiner Frau macht." "Sie wird schon noch in die Wirklichkeit zurückfinden. Ich habe Zeit, und auf so ein hübsches Mädchen lohnt es sich immer zu warten. Bis zum nächsten mal, Odo!" "Bis dann!" Der Soldat machte sich auf, den Platz zu überqueren und der alte Mann wandte sich erneut Iwi zu: "Ihr seid nicht von hier, oder? An eurer Stelle wäre ich sehr vorsichtig. Wenn der Herzog erzürnt ist, ist es schon für seine Untertanen nicht leicht. Als Fremder kann man da schnell in Schwierigkeiten kommen. Hier sind jedenfalls eure Äpfel, laßt sie euch schmecken. Es sind die letzten bis zum nächsten Herbst." A ls Iwi weiterschlenderte, dachte er, daß die beiden Männer wohl kaum so freundlich gewesen wären, wenn sie gewußt hätten, wer da neben ihnen stand, und ohne daß er es hätte andern können oder wollen, machte sich ein Lächeln auf seinem Gesicht breit. "Wer so zufriedem durch die Welt geht, denkt gewiß an seine Liebste. Wollt ihr nicht ein ebenso zufriedenes Lächeln auf ihre Lippen zaubern? Vielleicht mit einem Kleid oder Mantel aus feinstem englischen Tuch?" Iwi tauchte aus seinen Gedanken auf: "Nein, an meine Liebste hab ich gerade nicht gedacht. Um ehrlich zu sein, hab ich gar keine Liebste. Aber ich will mir trotzdem eure Waren einmal anschauen. Englisches Tuch, sagt ihr?" "Direkt von der Insel! Erst letzte Woche hab ich eine langersehnte Lieferung erhalten. Aber ihr müßt euch beeilen, den meine Waren sind gefragt. Und solange die Winterstürme im Kanal toben, wird es wohl kaum Nachschub geben. Sucht ihr etwas Bestimmtes?" "Ich suche Kleidung und Untergewand für meinen kleinen Bruder. So langsam ist er alt genug um sich in der Gesellschaft Erwachsener zu bewegen, da kann er ein paar neue Kleider gut gebrauchen. Aber nichts zu auffälliges, er ist immer noch nur der jüngere Sohn eines Händlers und kein Edelmann, auch enn er das vielleicht gerne wäre." "Ich bin sicher, ihr werdet bei mir fündig werden, mein Herr. Qualität hat allerdnigs ihren Preis." "Und wenn er verdient ist, werde ich ihn bezahlen. Jetzt zeigt, was ihr zu bieten habt." Nach längeren Verhandlungen hatte Iwi was er wollte. Die Dinge, die er gekauft hatte, waren alle in gedeckten, unauffälligen Farbtönen gehalten und auch nicht gerade die neueste Mode, dafür von exzellenter Qualität, aus einem dicken und warmen Tuch. Nur den Mantel hatte er ausgeschlagen. Der Händler hatte zwar einige Exemplare von traumhafter Machart, leicht und trotzdem warm und wohl so wasserdicht, wie das bei einem Wohltuch nur machbar war, er verlangte dafür aber auch einen stolzen Preis. Nicht daß Iwi ihn sich nicht hätte leisten können. Man mochte es ihm zwar von außen nicht ansehen, aber er war wirklich kein armer Mann. Nur pflegte er seine Kleidung so lange zu tragen, bis sie nicht mehr zu reparieren war, und Iwi war gut im Nähen. Was die Sache mit Erics Mantel anging würde man sehen müssen. Schließlich hatten sie ja vor noch ein paar Tage in Brest zu verbringen. Da würde sich schon noch ein billigerer Mantel finden, wenn vielleicht auch nicht von dieser Qualität. B ei all diesen Geschäften war der Vormittag schon fast vergangen, deshalb kehrte Iwi jetzt zur Herberge zurück. Die Wirtin befand sich wie immer an ihrem Platz hinter der Theke, von wo aus sie ihr kleines Reich regierte. Iwi bat sie, ihnen einen Waschzuber und heißes Wasser auf das Zimmer bringen zu lassen, da sie sich nach der langen Reise gerne in Ruhe gewaschen hätten. danach ging er hinauf zu Rafalo, bei dem sich den Vormittag über nicht viel getan hatte, und berichtete ihm von seinen Erlebnissen. "Ich glaube für die nächste Zeit sind wir hier sicher, da uns der Herzog eher Richtung Frankreich zu suchen scheint und nicht davon ausgeht, daß wir uns hier unter seiner Nase aufhalten. Nach dem was die Leute auf dem Markt allerdings erzählt haben, ist nicht anzunehmen, dß er die Suche so schnell aufgibt. Wir müssen uns darauf gefaßt machen, daß die Soldaten des Herzogs irgendwann auch Brest durchsuchen, und dann wird es sicher nicht einfach für zwei Fremde mit einem kranken Freund." Mit diesen Worten schloß Iwi seine Erzählung ab. Rafalo nickte nur zustimmend. Falls er noch etwas bemerken wollte, wurde er von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Es waren die beiden Mägde, die sie schon am Vorabend bedient hatten, die das Essen brachten. Begleitet wurden sie von einem halbwüchsigen Burschen, der den großen Waschzuber brachte. Während sie darauf warteten, daß der große Zuber von den Mägden Eimer für Eimer gefüllt wurde, aßen die beiden Freunde schnell zu Mittag. Endlich war der Eimer voll mit dampfenden Wasser und die Mägde zogen sich zurück. Rafalo wischte sein Messer an der Serviette ab, bevor er es zurück in die Scheide steckte. "Das Wasser ist im Moment sowieso noch zu heiß um Eric darin zu baden, und uns würde eine Reinigung auch nicht schaden. was hältst du davon, wenn wir auch noch kurz nacheinander baden." "Mach nur! Ich vernichte solange noch schnell das letzte Stück Käse hier." A ls die beiden Männer ihr Bad beendet hatten, war das Wasser immer noch warm, allerdings nicht mehr so brühend heiß wie zuvor. "Genau die richtige Temperatur um ein Kleinkind zu baden." grinste Rafalo, als Iwi sich eben anzog. "Du mußt es wissen, dein Vater hat ja mehr Kinder als Abraham." "Ja, mein alter Herr war ziemlich fleißig, das muß man ihm lassen. Hilfst du mir Eric auszuziehen?" Der Junge murmelte einige unverständliche Worte im Fieberdelirium, ließ aber alles mit sich geschehen, ohne recht zu Bewußtsein zu kommen. Bald war er ausgezogen. Die Kleidung wanderte auf den Haufen, auf dem schon Rafalos alte Kleidung darauf wartete, von der Wirtin gewaschen zu werden. Iwi hatte nach dem Bad leider wieder die schmutzigen Sachen anziehen müssen, da er seine zweite Garnitur Eric geliehen hatte. Gemeinsam hoben die beiden Freunde den jüngeren in den Badezuber. Rafalo hielt seinen Kopf über Wasser, während Iwi sich daran machte, den Dreckkrusten mit Seife zu Leibe zu rücken. Diese Arbeit nahm lange Zeit in Anspruch. Richtig sauber würde Eric wohl erst nach dem nächsten oder übernächsten Bad werden, doch war schon ein großer Schritt getan, den Schmutz von Monaten im Kerker von ihm abzuwaschen. Am Schluß wuschen sie ihm noch Haare und Gesicht, wobei sie große Sorgfalt darauf verwendeten, daß ihm keine Seife in Mund oder Augen gelangte. Danach trockneten sie ihn ab, zogen ihm das neue Unergewand an, und legten ihn wieder ins Bett. Bei der ganzen Prozedur hatten sie zun ersten Mal die Gelegenheit gehabt, den Jungen in Ruhe und bei Tageslicht genau zu betrachten. Er mochte etwas über fünf Fuß groß sein, war schlank und sehr zierlich gebaut. Er hatte weißblonde Haare, die dringend geschnitten gehörten und ein kluges, feingeschnittenes Gesicht. Seine Augen waren grau wie der Himmel an einem stürmischen Wintertag. Sein Alter war schwer zu schätzen, doch schien er nicht viel älter als fünfzehn zu sein. Wie Iwi bereits in der ersten Nacht im Wald bemerkt hatte, war sein Körper überseht mit Schrunden und alten Narben, und doch schien es, als hätte jemand darauf geachtet, daß der Junge nicht allzu sehr entstellt würde. So war zum Beispiel sein Gesicht praktisch frei von Narben, abgesehen von zwei alten Narben, die genau dem Verlauf seiner Lippen folgten. Das Bad schien Eric gut getand haben, vielleicht war er aber auch nur erschöpft. Auf jeden Fall schlief er tief und fest den ganzen Nachmittag, und auch die ganze Nacht, nachdem Bran ihn wieder mit Suppe und etwas kleingeschnittenem Apfel gefüttert hatte.